Im September ist Daniel Matlok aus unserer Pfarrgemeinde nach Brasilien aufgebrochen. Er macht dort einen Freiwilligendienst über SoFiA e.V. und berichtet in seinem ersten Rundbrief über seine Erlebnisse:
Liebe Familie, Bekannte, Freunde und Mitfreiwilligen,
etwa zwei Monate ist es jetzt her, dass ich ohne Sprachkenntnisse in dieses ferne und mir eigentlich so fremde Land Brasilien gereist bin. Und nun möchte ich euch an einigen meiner vielen Eindrücke, Erfahrungen und Begegnungen teilhaben lassen.
Meine Anreise
Abgeflogen bin ich von Frankfurt, zusammen mit Sara und Judith, den anderen Freiwilligen in Brasilien. Die Aufregung stieg immer mehr an und es hieß „Auf Wiedersehen, bis in einem Jahr“. Ungefähr 10 Stunden dauerte der Flug nach Fortaleza, aber wir waren lange noch nicht da. Zum Glück hatten wir die Hilfe von Barbara, einer Freundin unserer Vorgängerin, ansonsten säßen wir bestimmt immer noch am Flughafen von Fortaleza. Am Busbahnhof dann die ernüchternde Antwort, dass an diesem Abend keine Busse mehr fahren und der nächste erst am nächsten Tag um 19 Uhr kommt. So mussten wir also einen Zwischenstopp in Fortaleza einlegen. Wir wagten uns am nächsten Tag, gestärkt von unserer Übernachtung im Hotel und dem riesigen Frühstücksbüffet, einen kleinen Spaziergang durch die Umgebung zu machen und konnten so schon erste Eindrücke von Brasilien gewinnen. Sogar einen kleinen Einkauf haben wir gemeistert.
So ging es dann abends mit dem Ônibus Richtung Parnaiba, wo wir dann wiederum nach 9 Stunden ankamen. Aber auch das war noch nicht das Ende meiner Reise, denn nach ein paar Tagen sollte es weiter nach Piripiri zu meinem neuen Projekt gehen (ursprünglich war Parnaiba als Einsatzstelle geplant).
Ich weiß noch wie Felix, einer meiner Vorgänger, beim Orientierungswochenende, an welchem ich noch nicht wusste, dass es für mich nach Brasilien gehen wird, erzählt hat, wie er Tage für die Anreise gebraucht hat. Zum Glück, dachte ich in diesem Moment, muss ich das nicht machen. Naja so kanns kommen 😛
Mein Projekt
Mein neues Projekt gefällt mir super. Ich arbeite von Montag bis Freitag immer vormittags in einer Schule für physisch und psychisch behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Insgesamt wird die Einrichtung namens „APAE“ von 184 Schülern besucht. Diese kommen zwei Mal die Woche entweder vormittags oder nachmittags, das heißt, es sind eigentlich immer so um die 20 Schüler da. Der Großteil der jüngeren Schüler besucht nebenbei noch die reguläre Schule.
Die Schüler sind unterteilt in unterschiedliche Säle. Ein Unterricht besteht in der Regel aus 1-3 Schülern, wobei gezielt auf die Schwächen der Schüler eingegangen wird. So werden einfache mathematische Aufgaben gerechnet, die Zahlen anschaulich dargelegt, die Vokale spielerisch vermittelt usw. Die älteren Schüler, welche nicht mehr zur regulären Schule gehen, basteln kreative Gegenstände oder erlernen ebenfalls einfachere Dinge.
Mein Arbeitstag beginnt damit, mit dem Schulbus, mit dem auch die Schüler fahren, zur APAE zu fahren. Der Bus kommt so zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr, so ganz ist das leider nicht definiert, aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit und lernt sich anzupassen.
Egal wie müde ich am Morgen bin und egal wie meine Laune gerade ist, wenn ich in den Schulbus steige, kommt mir einfach ein Lächeln ins Gesicht. Wenn ich in die lachenden Gesichter der Schüler und Lehrer blicke, die mich mit einem fröhlichen „Bom Dia“ begrüßen, geht es mir einfach nur gut. Im Bus wird gesungen, ein wenig getanzt (wobei ich natürlich nicht still dasitzen darf), geplaudert und gelacht oder die neusten Videos der Enkel der Lehrer ausgetauscht. Mit einem Schüler tausche ich manchmal auch Musik aus, was für uns beide interessant ist und eine Möglichkeit bietet die Kultur des Anderen zu entdecken.
In der Schule bin ich dann jeden Tag bei zwei verschiedenen Unterrichten dabei um möglichst mit allen Schülern und Lehrern in Kontakt zu kommen und alles mal kennenzulernen. Im Unterricht selbst mache ich eigentlich fast alles das, was die Lehrer auch machen. Ich schreibe Aufgaben an die Tafel und bespreche und korrigiere diese gemeinsam mit den Schülern, wir basteln zusammen, ich gehe die Zahlen oder Buchstaben spielerisch mit ihnen durch oder wir spielen, wenn am Ende des Unterrichts noch Zeit da ist.
Ich wurde sehr herzlich von allen Lehrern und Schülern aufgenommen, was mir das Einleben durchaus einfacher gemacht hat. Für mich ist die Arbeit mit behinderten Menschen eine ganz neue Erfahrung, für die ich aber sehr dankbar bin. Durch diese Erfahrung konnte ich einen ganz neuen Blick für diese Menschen gewinnen und einige falsche Vorstellungen korrigieren. Mittlerweile ist es wirklich so, dass ich die Schüler gar nicht mehr als Behinderte sehe, sondern als die Personen die mich so freundlich aufgenommen haben, die mich immer zum Lachen bringen können und die mich gerne auch mal in ein Gespräch einbinden. Natürlich werden einfachere Dinge gelehrt, als in der regulären Schule und es ist vielleicht manchmal etwas Geduld gefragt, wenn ein Schüler für zwei Zahlen anderthalb Stunden braucht, aber bei jedem kleinen Erfolg hat sich die Zeit gelohnt.
Auf dem Weg zur Schule.
Domino, definitiv das beliebteste Spiel.
Meine Gastfamilie und Freunde
Ich wohne in einem kleinen Häuschen zusammen mit einem älteren Ehepaar und ihrem jüngsten Sohn. Meine Gasteltern sind etwa Mitte 60 und die Kinder sind zwischen 29 und 43 Jahre alt. Ich habe ein gemütliches Zimmer, mit allem was ich so brauche. Doch was viel wichtiger zu erzählen ist, ist die riesige Gastfreundlichkeit, mit der ich hier aufgenommen wurde. Sowieso schon ist es nicht selbstverständlich einen eigentlich Fremden bei sich aufzunehmen und bei sich schlafen zu lassen. Doch von Anfang an wurde ich aufgenommen und behandelt als wäre ich ihr Sohn bzw. Bruder und es wird mir auch oft gesagt, dass ich ein Teil der Familie bin. Meine Gastmutter erzählt mir gerne, wie sehr sie mich schon ins Herz geschlossen hat und wie gut ich ihr und ihrer Familie tue. Vor ein paar Tagen sind ihr fast schon die Tränen gekommen, als sie daran gedacht, dass ich (schon) in 10/11 Monaten wieder abreise.
Diese Worte und die enorme Gastfreundlichkeit berühren mich jedes Mal aufs Neue und ich freue mich dieses Glück zu haben.
Abends sitzen wir gerne mit dem Rest der Familie vor dem Haus, plaudern etwas, erzählen uns von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Brasilien und Deutschland, spielen Bingo oder essen etwas.
Bingo mit meiner Gastfamilie.
Ansonsten habe ich auch schon ein paar Freunde gefunden. Besonders für Onassis, meinem Arbeitskollegen, bin ich sehr dankbar. Er hat mir an meinen ersten Tag auf der Arbeit immer geholfen, wenn ich mal nicht so ganz wusste wo ich gebraucht werde und wir beide gehen regelmäßig abends essen (Perfekt um das Churrasco kennenzulernen, das brasilianische Grillfleisch).
Deusdete habe ich durch meine Sprachlehrerin kennengelernt. Er ist Spanischlehrer und genau doppelt so alt wie ich. Das stört aber nicht und war eigentlich auch nie wirklich präsent. Dank ihm bin ich ein „Flamengisto“ (ein Fan der brasilianischen Fußballmannschaft Flamengo, übrigens die beste die es gibt, das steht fest!) und wir schauen jetzt fast jedes Spiel zusammen in einer Bar.
Mit Deusdete (rechts) und Emizael (links) beim Fussballschauen.
Auch die Freunde von meinem Gastbruder haben mich direkt freundlich aufgenommen. Mittlerweile spielen wir regelmäßig Fußball (Natürlich ist das 7:1 Von der Partie Deutschland gegen Brasilien oft ein Thema, aber definitiv nicht das beliebteste :P) und quatschen etwas rum.
Die Religion
Bis jetzt bin ich in Brasilien nur mit dem katholischen Christentum in Kontakt gekommen. Es gibt auch einige evangelische Christen (die allerdings keine eigenen Kirchen, sondern nur Häuser bzw. Räume besitzen) und einige afrobrasilianische Religionen, über die ich (zumindest aus erster Hand) aber nichts sagen kann.
Meine Gastfamilie ist eine sehr fromme Familie. Meine Gastmutter trägt lediglich blaue und weiße Kleider, weil das die Farben der Stadtpatronin sind und mein Gastbruder ist Katechet. Jede Stadt in Brasilien hat ihren eigenen Patron, in Piripiri ist das Nossa Senhora dos Remédios. Auch Brasilien hat seine eigene Patronin (Nossa Senhora aparecida). Mitte Oktober ist der Feiertag der Patronin von Piripiri, was mit einem einwöchigen Fest gefeiert wird. Dabei gibt es täglich große Messen, zu denen sich Tausende Menschen versammeln. Einige besonders fromme Personen tragen zu den Messen ausschließlich weiße Kleidung und kommen ohne Schuhe. Diese besondere Darstellung seines Glaubens nennt man „Luto“. Außerdem gibt es auf einigen Plätzen in der Stadt Hütten, die Essen verkaufen und auch Fahrgeschäfte wie Autoscooter oder Riesenrad.
Das Fest von der Senhora dos remédios von oben.
Ansonsten bin ich immer mal wieder auf kleineren Festen, weil auch jede Kirche ihren eigenen Patron besitzt, der jährlich gefeiert wird und ich zusammen mit meinem Gastbruder manchmal auf die Treffen der Katecheten gehe. Allgemein hat die Jugend einen viel stärkeren Bezug zur Kirche als bei uns und sie integriert sich durch eigens organisierte Mitarbeit selber in das Gemeindeleben. Zudem wird die Zugehörigkeit zum Christentum oder zu seiner Gemeinde gerne durch bedruckte T-Shirts gezeigt (ebenfalls genauso von der Jugend getragen). So gibt es T-Shirts mit Heiligen, biblischen Symbolen und den Namen der Gemeinden.
Der Gottesdienst ist im Kern eigentlich kaum zu unterscheiden zu dem uns Bekannten. Allerdings wird gerne und viel gesungen. Es wird geklatscht und im Takt gewunken und Vieles, was wir bei uns sagen würden, wird gesungen. So sind beispielsweise das „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes“ oder auch das „Amen“ melodische Texte. Meiner Meinung nach verleiht dies eine ganz andere Nähe und Fröhlichkeit im Gottesdienst. Der Gottesdienst lebt hier wirklich und ist einfach lockerer, wie ich finde. Da ist es nicht komisch, wenn der Pfarrer bei der großen Messe während der Festwoche sein Handy rausholt und fleißig Fotos und Videos macht.
Die Tiere und Natur
Von der Natur und den Tieren Brasiliens durfte ich schon einiges sehen und ich hatte auch schon die ein oder andere persönliche Begegnung mit den einheimischen Tieren. Dabei sagen Bilder viel mehr aus:
auch die gibt’s hier leider…
ein wunderschönes Tier wie ich finde.
In die Früchte Brasiliens muss man sich einfach verlieben. Mango, Acerola, Caja, Caju, Carambola und viele mehr. Egal ob direkt vom Baum oder als Saft, unfassbar lecker.
(Die Bilder sind übrigens alle aus „meinem“ Garten)
Acerola
Caju
Carambola
Bananen
riesig oder?
Die Sprache
Schon einige Leute haben mich gefragt wie ich eigentlich mit der Sprache klar komme oder wie ich mich mit den Leuten hier überhaupt verständige. Und tatsächlich war es am Anfang eine große Herausforderung, da ich ja wirklich gar keine Sprachkenntnisse hatte. Lediglich Spanisch habe ich in der Schule gelernt, das ist ja wenigstens sehr verwandt mit der portugiesischen Sprache. Und tatsächlich hat mir das manchmal auch weiter geholfen, da einige Begriffe zwar anders ausgesprochen, aber gleich geschrieben werden.
Vielleicht bin ich in Deutschland auch etwas locker mit diesem Thema umgegangen (das wird schon dachte ich). In der Anfangszeit ist es oft genug passiert, dass ich kaum eine Ahnung hatte was jetzt als nächstes ansteht oder um was es jetzt geht und Fragen einfach mit einem Lächeln beantwortet habe. Doch da ich ständig von der portugiesischen Sprache umgeben bin, lerne ich unweigerlich und kontinuierlich. Zwar gibt es immer noch manchmal Momente, in denen ich nicht alles verstehe, aber die sind viel weniger geworden und mittlerweile fällt es mir nicht mehr so schwer komplette und längere Unterhaltungen zu führen.
So.. das waren einige meiner ersten Eindrücke und Erfahrungen aus Brasilien. Falls euch das noch nicht genug war, ihr noch fragen habt, ein paar Details wissen wollt oder noch mehr Bilder sehen wollt, zögert nicht mich anzuschreiben. Ich freue mich über jede Nachricht, jedes Interesse und jede Unterstützung, in welcher Art auch immer.
Abracos aus dem fernen und sonnigen Brasilien
euer Daniel