Die Diözese Quibdó liegt im Departement Chocó im Nordwesten Kolumbiens in der Region der Pazifikküste. Sie umfasst ein Territorium von 15.000 Quadratkilometern und hat etwa 200.000 Einwohner. 85% der Bevölkerung sind afrikanischer Abstammung, 10% Indianer und 5% Mestizen.

Im Jahr 1983, unter der Leitung des erst kürzlich ernannten Bischofs Jorge Iván Castaño Rubio, Claretiner, begannen die in der Evangelisierung arbeitenden Teams der Diözese einen an der Grundentscheidung für das Leben inspirierten Pastoralplan zu erarbeiten, der unter anderen in folgenden spezifischen Engagements umgesetzt wurde:

  • für die Armen und Unterdrückten
  • für die Basisorganisationen der Indianer, Schwarzen und Mestizen
  • für die Verteidigung und Erhaltung des Territoriums und der Umwelt
  • für eine frauenbefreiende Evangelisierung
  • für die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte

Das erste sichtbare Resultat war die Schaffung und Stärkung der Basisorganisationen. Durch Programme zur kritischen Bewusstseinsbildung, Alfabetisierung, Analyse der soziokulturellen Wirklichkeit, politische und rechtliche Bildung, solidarisches Wirtschaften, gemeinschaftliche Gesundheitsförderung und etnisch orientierte Erziehung erweiterten die Gemeinden ihre Fähigkeiten und begannen, Verbindungen untereinander aufzunehmen. Bald wurden zahlreiche Organisationen gegründet wie:

  • die Regionale Indianerorganisation Embera-Wounaan (OREWA)
  • der Integrale Bauernverband des Atrato (ACIA)
  • die Organisation der Stadtviertel
  • die Bauernorganisation des Oberen Atrato
  • die Organisation der Campesinos und Kaffeebauern des Carmen de Atrato
  • die Gewerkschaft der Minenarbeiter des Carmen de Atrato

Die Volksorganisationen begannen, ihre Rechte bei einem Staat einzufordern, der die Bevölkerung der Indianer, Schwarzen und Mestizen in einer historischen Randexistenz und Vernachlässigung hielt. Vermittels Eingaben ihrer Forderungen mit Tausenden von Unterschriften, Anzeigen, Foren, Protestmärschen und gewaltfreien Besetzungen von öffentlichen Behörden lernte das chocoanische Volk, seine Stimme zu erheben und seine Interessen zu verteidigen. Die Pastoralteams der Diözese – Laien, Ordensleute und Priester – begleiteten und unterstützten aktiv alle diese Aktionen, wobei sie immer die Autonomie der Basisbewegung respektierten.

Der bedeutsamste Erfolg all dieses Kampfes war die Verabschiedung eines nationalen Gesetzes zu Gunsten der Schwarzen Gemeinden, das Gesetz 70 von 1993, welches den Kolumbianern afrikanischer Abstammung die Möglichkeit gab, die amtliche Anerkennung der kollektiven Eigentumsrechte über das seit Generationen von ihnen bewohnte Territorium in die Wege zu leiten. Den ersten und gleichzeitig grössten Landtitel über 800.000 Hektar erhielt im Jahr 1998 die ACIA. Dieser unpfändbare, unveräusserliche und unverjährbare Titel kommt 7.000 Familien in 120 Dörfern zugute, die ab diesem Moment das Eigentumsrecht über ihr Land und die natürlichen Resourcen ausüben konnten.

Während der 80er und bis Mitte der 90er Jahre konnten diese Organisationsprozesse in einem relativ friedlichen Klima wachsen und gedeihen, denn zu dieser Zeit war der Chocó kaum von den schrecklichen Konsequenzen des bewaffneten Konflikts berührt, der sich im grössten Teil des Territoriums der Nation verschärfte. In einigen Gegenden waren kleine Guerillagruppen sporadisch präsent, aber es kam nicht zu Kämpfen weil kein Gegner da war. Militär und Polizei waren nur in der Departementshauptstadt und in einigen Orten stationiert und suchten keine Konfrontation.

Die Lage änderte sich dramatisch ab 1996, als die Paramilitärs aus der Region des Urabá begannen, in den Chocó einzudringen und Terror unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten. Bald darauf reagierte die Guerilla mit einer Offensive und vergrösserte erheblich die Zahl ihrer Truppen. Der Staat antwortete mit einem grossen Aufgebot an Polizei, Heer, Marine und Luftwaffe. So wurde diese abgelegene Urwaldgegend zum Kriegsschauplatz, wo die Zivilbevölkerung sich dauernd mitten in der Schusslinie befindet. Alle bewaffneten Akteure, ob legal oder illegal, versuchen, die Zivilisten für ihre Zwecke zu benutzen, und wenn sie sich weigern, werden sie beschuldigt, Komplizen des jeweiligen Gegners zu sein, und zum militärischen Angriffsziel erklärt. Bedrohungen, Folter, Raub, willkürliche Verhaftungen, Ermordungen, Verschwindenlassen von Personen, Wirtschaftsblockaden und gewaltsame Vertreibungen sind zum täglichen Brot in den Gemeinden geworden.

Dieses Panorama der Gewalt stellte die Diözese Quibdó vor neue Herausforderungen. Die Gemeinden und die Führungskräfte der Organisationen suchten Unterstützung und Schutz bei den Pastoralteams. Um so vielen Nöten besser und koordinierter begegnen zu können, wurde eine Diözesankommission für Leben, Gerechtigkeit und Frieden gegründet mit einem Personenkreis, der sich voll und ganz der Verteidigung der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts widmen konnte. Die verschiedenen und vielfältigen Aufgaben kann man zusammenfassend wie folgt umschreiben:

  • Bildungsarbeit über Themen der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts, um die Autonomie der Gemeinden und ihre Fähigkeit zum zivilen Widerstand zu stärken und so zu verhindern, dass die Gemeinden in den bewaffneten Konflikt hineingezogen werden.
  • Begleitung der bedrohten Gemeinden, um die Wirtschaftsblockaden zu überwinden und neuen Massenvertreibungen nach Möglichkeit vorzubeugen.
  • Begleitung der vertriebenen Familien, um eine Rückkehr in Würde zu organisieren oder, wenn das nicht möglich ist, für eine Umsiedlung unter würdigen Bedingungen mit wirtschaftlicher Stabilität zu kämpfen und die Selbsthilfe zu fördern.
  • Registrierung aller Fälle der Verletzungen der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts in einer Datenbank, um das Gedächtnis für die Geschichte zu bewahren.
  • Sichtbarmachung auf nationaler und internationaler Ebene der Missbräuche und Verbrechen aller bewaffneten Akteure durch öffentliche Kommuniqués, Erstellung von Videos, Foren und Kommissionen zur Beobachtung der Lage mit Beteiligung von Repräsentanten der Vereinten Nationen, Botschaften, Menschenrechtsorganisationen, Journalisten etc.
  • Rechtsberatung für die Opfer

Bei all diesen Aktivitäten ist die Position der Diözese keineswegs neutral, sondern sie stellt sich entschieden auf die Seite der Opfer eines bewaffneten Konflikt, der Resultat eines historisch gewachsenen sozialen Konflikts ist, worin die Wurzel von so viel Gewalt und Elend liegt. Eine so feste und mutige Position ist immer mit ernsten Risiken verbunden, und so mussten auch die pastoralen Mitarbeiter der Diözese Quibdó ihren Blutzoll in diesem schmutzigen Krieg leisten. Am 18 September 1998 ermordete ein paramilitärischer Kommandant den 24jährigen Ordensbruder Michel Quiroga, als er in einer Sperre einen Campesino verteidigte, der keine Papiere bei sich hatte. Am 18 November 1999 verloren bei einem Attentat auf ein Boot der Diözese der 34jährige Priester Jorge Luís Mazo und der 24jährige spanische Freiwillige Iñigo Eguiluz ihr Leben. Trotzdem ist bisher der Wille ungebrochen, das Bündnis mit den Basisorganisationen fortzusetzen und den Opfern zu helfen, ihre Interessen zu verteidigen. Der jetztige Bischof Fidel León Cadavid Marín, der vor fünf Jahren ernannt wurde, steht der Diözesankommission für Leben, Gerechtigkeit und Frieden vor und garantiert die Gültigkeit der pastoralen Grundsätze und die sich aus dem Evangelium ableitende Verpflichtung zur Verteidigung der Menschenrechte.

Ursula Holzapfel
Ulrich Kollwitz

Quibdó, den 28. Mai 2006