Bischofswort Hochwasser

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Trier, 29. Juli 2021

Haben wir acht aufeinander

Liebe Mitchristen im Bistum Trier!
Vor zwei Wochen wurden Menschen in mehreren Regionen unseres Bistums und darüber hinaus von einer
furchtbaren Flutkatastrophe getroffen. Flüsse wie die Ahr und der Sahrbach, die Enz, die Nims, die Prüm und
die Kyll, die in aller Regel beschaulich dahinplätschern, verwandelten sich binnen kürzester Zeit zu reißenden
Strömen und rissen alles fort, was sich ihnen in den Weg stellte. Über Nacht verloren Menschen ihre Wohnun-
gen, ihre Häuser, ihre Existenzgrundlage, ja sogar ihre Liebsten.
Nach der verheerenden Flut erleben die Menschen in den betroffenen Gebieten eine überwältigende Welle
der Hilfsbereitschaft aus der unmittelbaren Nachbarschaft ebenso wie aus dem ganzen Land. Aus anderen
Bistümern in Deutschland erreichen mich Solidaritätsbekundungen und Hilfszusagen.
In vielen Begegnungen, Erzählungen sowie in der öffentlichen Berichterstattung hat sich mir gezeigt, dass das
ganze Bistum nicht nur über die Nachrichten und über persönliche Beziehungen an den schrecklichen Ereig-
nissen an der Ahr, in der Eifel und im Trierer Raum teilnimmt: Menschen aus dem Saarland, vom Hunsrück, von
Rhein und Nahe gehen in die betroffenen Gebiete, um als einzelne, als Gruppen oder als Mitglieder von be-
stimmten Organisationen tatkräftige Hilfe zu leisten. So sind wir im Bistum Trier nicht nur vereint im Erschre-
cken und in der Betroffenheit über die Auswirkungen der Naturkatastrophe. Wir spüren auch eine Gemein-
schaft in der Solidarität.
Schon heute danke ich allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich aus dem ganzen Bistum engagiert haben
und engagieren, um auf vielfältige Weise eine erste, unmittelbare Hilfe zu leisten!

In vielen Gesprächen habe ich das Gemisch von Gefühlen gespürt, das die Menschen in den betroffenen Regi-
onen bewegt:
Da ist die Erschütterung über den Verlust des Zuhause, des eigenen Betriebs, des vertrauten Lebensum-
felds. Im Bereich der Ahr kommt dazu die Trauer derjenigen, die Angehörige oder Freunde verloren haben.
Es gibt die aufwühlende Erinnerung derjenigen, die anderen helfen wollten, es aber nicht konnten und
ohnmächtig dem grausamen Geschehen zusehen mussten. Und es gibt die große Zahl derjenigen, die
eine Nacht lang Todesangst ausgestanden haben.


Zugleich ist da die Dankbarkeit derjenigen, die vor Schäden bewahrt worden sind; die große Dankbarkeit
derjenigen, die mit dem Leben davongekommen sind und dies nahezu als ein Wunder betrachten. Da ist
die hohe Dankbarkeit für die großherzige Hilfe, die zuteil wurde.


Zugleich gibt es die Sorge, wie es konkret weitergehen kann. Was ist zum Beispiel mit den Kindern, deren
Kindergärten und Schulen beschädigt oder zerstört worden sind?


Die Vielen, die in den letzten beiden Wochen geholfen haben, kehren ebenso mit gemischten Gefühlen
nach Hause zurück: Mit der Dankbarkeit, die ihnen für ihren Einsatz entgegengebracht wurde, aber auch
mit den Bildern der Zerstörung, die sie gesehen und all dem, was sie an Leid gehört haben.


Erste, wirksame Hilfe wurde geleistet. Es ist aber längst klar, dass die Beseitigung der Schäden und der Wieder-
aufbau einen langen, langen Atem brauchen. Das gilt ebenso und vielleicht noch viel mehr für die inneren Verletzungen und Belastungen, die das Unglück in den Seelen zugefügt hat und das vielleicht äußerlich noch nicht sichtbar ist.


So mischt sich in meine Anteilnahme für die betroffenen Regionen und in den Dank an all diejenigen, die Un-
terstützung geleistet haben, die Bitte: „Haben wir acht aufeinander.“
Die immer noch nicht überwundene Corona-Pandemie und die jüngste Flutkatastrophe zeigen uns: Wir sind
und bleiben auch im 21. Jahrhundert als einzelne und als menschliche Gemeinschaft verletzlich. Umso wichti-
ger ist es, ein offenes Ohr und ein waches Herz füreinander zu haben.


Schon wird die Frage gestellt, welche Lehren aus dem Unglück zu ziehen sind, um künftige Katastrophen die-
ser Art zu vermeiden. Es werden Antworten gegeben und Diskussionen geführt. Das ist berechtigt und not-
wendig, aber es braucht auch die Zeit, die Ereignisse innerlich an sich heranzulassen, ob man nun direkt oder
indirekt von dem Geschehenen betroffen ist.


Eine wichtige Aufgabe der kirchlichen Gemeinschaft sehe ich über die unmittelbare menschliche und fachli-
che Hilfeleistung hinaus darin, Orte und Gelegenheiten zu schaffen, um dem Erlebten und Erlittenen Raum zu
geben, damit es zur Sprache kommen kann in Trauer und Klage, als Frage und als Dank. Unserem christlichen
Glauben ist das alles nicht fremd. Er lässt dies zu, bietet Hilfe zur Bewältigung an, die nicht bloß ausgedacht ist,
sondern auf konkreten Erfahrungen von Menschen beruht, nicht zuletzt in Krisensituationen.


Viele haben in den letzten beiden Wochen trotz allem Schrecken eine einzigartige und kostbare Erfahrung von
Gemeinschaft gemacht. Wie schön wäre es, wenn eine solche Gemeinschaft bewahrt werden könnte. Im Glau-
ben haben wir dazu die wunderbare Möglichkeit des Gebetes: Es verbindet uns miteinander auch dann, wenn
die sichtbare Gemeinschaft nicht (mehr) gegeben ist. Zugleich bindet uns das Gebet an Gott, den Ursprung
des Lebens und aller Gemeinschaft.


Bleiben wir in dieser Verbundenheit. Vielleicht kann dazu das folgende Gebet helfen. Wir können es auch stell-
vertretend für die sprechen, die sich angesichts der Katastrophe mit dem Beten schwertun.

Herr, du bist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Alles steht in deiner Macht.
Manchmal bleiben uns deine Pläne dunkel.
Lass uns darauf vertrauen, dass du am Ende alles zum Guten führst,
und halte uns in der Gemeinschaft mit dir und untereinander. Amen.


Ihr Bischof

 

Dr. Stephan Ackermann