Keine Mehrheit, aber Nobelpreis! Wie geht es weiter in Kolumbien?

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Unter diesem Titel fand am 07. November ein Vortrag im Kultur- und Werkhof Nauwieser 19 statt. Hauptreferentin war Ursula Holzapfel. Seit 36 Jahren lebt und arbeitet sie in Kolumbien und ist für die Menschenrechtsarbeit der Diözese Quibdó, im Westen Kolumbiens mitverantwortlich.

Während der bewaffnete Konflikt in Kolumbien bereits seit über 50 Jahren tobt, so war der Chocó – so der Name des Departamentos, in dem die Dizöese Quibdó liegt – lange Zeit davon verschont geblieben. Erst im Jahre 1996 drangen bewaffnete Gruppen auch in diesen entlegenen Teil des Landes vor, berichtet sie. Ende April 2002 kam es in Bellavista, einem 2000 Seelen-Dorf am größten Fluss der Region, zu einem mehrtägigen Feuergefecht zwischen der FARC-Guerilla und paramilitärischen Truppen. Die Menschen, so erzählt Ursula Holzapfel weiter, suchten Schutz in der Kirche des Dorfes, die als eines der wenigen Gebäude aus Stein gebaut war und die Bewohner vor den Kugeln schützte. Doch am Morgen des 02. Mai schossen die Guerilleros Bomben, die sie aus alten Gaszylindern selbstgebaut hatten, auf die Paramilitärs, die sich hinter der Kirche verschanzt hatten. Eine dieser sogenannten „pipetas“ flog zu kurz, durchbrach das Dach des Gotteshauses und explodierte im Inneren.

79 Menschen wurden bei diesem Massaker ermordet. Die Namen der Todesopfer hat Ursula Holzapfel zu ihrem Vortrag mitgebracht. Sie sind Teil eines Wandteppichs, den die hinterbliebenen Opfer, die, die überlebt haben, zusammen genäht haben. Über den Namen haben zwei Indigenen-Jungen ein Bild gemalt, dass die Kämpfe und den Moment, kurz bevor die Bombe das Dach durchbricht zeigt, aber auch wie die Menschen anschließend über den Fluss in Booten geflohen sind.

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Foto: Steve Cagan

 

Dies ist aber nur der „kleine Bruder“ eines viel größeren Wandbehangs,der die Geschichte des Massakers in die Welt tragen sollte.

14 Jahre später kam die FARC wieder nach Bellavista – doch dieses Mal, um sich zu entschuldigen. Doch das Wort „Entschuldigung“ sei zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht gefallen, berichtet Ursula Holzapfel. Die Führer der FARC haben lediglich die Mit – verantwortung für die Tat übernommen.

Bellavista war eine von vielen Stationen, auf einer Reise, die die FARC-Führung durch Kolumbien während der Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung unternommen hatte. Die Rebellen wollten beispielhaft ihren Willen zum Frieden bekunden und sich für die begangenen Gräuel, vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung, entschuldigen.

Es war dies einer von vielen kleinen Schritten, die die langen Friedensverhandlungen begleitet haben. Nach vier Jahren zäher Verhandlungen hatten die Vertreter der FARC und der Regierung Kolumbiens dieses Jahr endlich einen Vertrag unterzeichnet, der ein Ende ihres Konfliktes einleiten sollte. Doch Präsident Juan Manuel Santos stellte diesen Vertrag dem Volk zur Abstimmung – und die Kolumbianer lehnten den Vertrag mit einer hauchdünnen Mehrheit ab.

Im Chocó“, so schildert Ursula Holzapfel, „hat kein einziges Dorf mit Nein gestimmt. Als die ersten lokalen Ergebnisse bekannt wurden, haben die Leute auf den Strassen getanzt vor Freude und Erleichterung!“ Aber als mit den 20 Uhr Nachrichten die landesweiten Ergebnisse bekannt wurden, herrschte mit einem Mal Totenstille. „Ich hätte nie gedacht, dass nicht gewonnen wird“, gesteht Ursula Holzpafel ein. Zwei Tage lang, erzählt sie weiter, lag eine lähmende Stille über der gesamten Region. Und dann kam der Friedensnobelpreis und mit ihm, der nächste Schlag ins Gesicht der unzähligen Opfer der Gewalt. Der eigentliche Vorschlag für den Preis galt nicht Santos allein, sondern ebenfalls alias Timochenko, dem Chef der FARC-Guerilla, sowie fünf Vertretern von Opfern, darunter auch Leyner Palacios aus Bellavista. „Ich hätte auch nie gedacht, dass die Opfer nicht mitbedacht werden.“

Doch mit etwas Abstand konnte Ursula Holzapfel die Entscheidung dann doch noch nachvollziehen: Als Verteidigungsminister unter seinem Vorgänger im Präsidialamt, Uribe, habe Santos auch schießen lassen. Mit einem Friedensnobelpreis im Rücken könne er nicht mehr dorthin zurück, lautet ihre Einschätzung.

Am Sonntag nach der Bekanntgabe über die Verleihung des Friedensnobelpreises reiste nun auch Präsident Santos mit seiner Familie nach Bellavista. Dort feierte er den Gottesdienst mit den Opfern und widmete ihnen seinen Preis. Außerdem versprach er, das Preisgeld dem Fond für die Opferhilfe zugute kommen zu lassen.

An diesem Ort, der mit all seinem Schrecken so repräsentativ für den Konflikt in Kolumbien steht, setzte der Präsident ein weiteres Zeichen, dass er trotz des Nein-Votums weiter für einen Frieden arbeiten möchte. Das dies noch immer ein langer Weg sein wird, ist Ursula Holzapfel bewusst: „Es wird viel Kraft brauchen!“, fasst sie die Aussicht zusammen. „Aber egal, was passiert – die Erinnerung bleibt.“

Der Wandteppich, der die Erinnerung an dieses Massaker und die Namen der Todesopfer, zeigt, wird seine Reise weiter fortführen. Sein nächster Halt ist Hiroshima in Japan, wo er in einer Ausstellung über die Opfer von Bombenangriffen zu sehen sein wird.