Die Witwen der Teufelskurve – neue Ausstellung von Freddy Sanchez Caballero

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In der Heilig Kreuz Kirche in Güdingen ist eine neue Ausstellung des kolumbianischen Malers Freddy Sanchez Caballero zu sehen. Wie so oft, stehen auch dieses Mal wieder Frauen im Mittelpunkt seiner Kunst.

„Im Chocó sind die Frauen der Kopf der Familie. Sie treiben die Dinge voran. Sie halten die Kultur am Leben. Deshalb male ich Frauen“, erzählt der Künstler in einem Gespräch.

Für seine aktuelle Bildserie hat er sich einen ganz speziellen Ort auserwählt: die „Teufelskurve“. Damit ist eine langgezogene, breite Kurve gemeint, die der Río Atrato beschreibt. Das besondere an dieser Kurve zeigt sich aber erst, wenn das Flussbett sich nach längerer Trockenzeit zeigt. Das Ufer wird breiter und breiter und der Fluss schmäler und schmäler. Die Boote und Schiffe müssen aufpassen, wo sie langfahren, damit sie nicht auf eine Sandbank auffahren.

Dieser Ort ist bis heute ein Mahnmal für die Schrecken des bewaffneten Konflikts in diesem Teil Kolumbiens. Eines Morgens vor 17 Jahren lagen hier unzählige ermordete Männer, die die trockengelegte Sandbank säumten. Die Mörder hinterließen eine Nachricht – Niemand dürfe die Männer beerdigen!

So kamen die hinterbliebenen Ehefrauen, die so plötzlich zu Witwen geworden waren, jeden Morgen hierher, um zu weinen, um zu beten, um „alabaos“ zu singen und die Geier von ihren Männern fernzuhalten.
Dieses grausame Ereignis, dieses schreckliche Schicksal, dass die Witwen von der Teufelskurve vor 17 Jahren erleiden mussten, diente Freddy Sanchez Caballero als Inspiration für seine neue Serie. Er versuchte all das Leid, all die Trauer und das Wehklagen der Frauen auf die Leinwand zu bringen; aber auch den Mut der Frauen, jeden Tag aufs neue zu ihren verstorbenen Männern zu gehen; und schließlich auch die Ungerechtigkeit, dass bis heute keiner der Mörder angeklagt wurde.

 

Die Ausstellung können Sie in der Heilig Kreuz Kirche in Güdingen betrachten. Dort hängen über 20 Werke von Freddy Sanchez Cabellro aus, die auch käuflich zu erwerben sind. Einen ersten Eindruck geben die Fotos unten.

Hier der ins Deutsche übertragene Text von Freddy Sanchez Caballero zu seiner Ausstellung:

DIE WITWEN AN DER TEUFELSKURVE
von Freddy S. Caballero

Das Wasser schien schneller zu fliessen als gewöhnlich; das Flussbett war so ausgetrocknet wie ein jahrtausende altes Fossil und die im Hafen festliegenden Kähne warteten auf die Regenzeit. Der Fluss folgte nach Belieben seinem Weg, den er auswendig kannte und den er blindlings durch die Sümpfe des Mittleren Atrato wählte, schon seit den Zeiten von Vasco Núñez, als er ohne Anteilnahme jedem Kolonisierungsvorhaben Geleit gab. Seinen gewundenen Lauf fuhr eine Handvoll Eroberer mit eiserner Rüstung und Schwertern flussaufwärts, unter dem Ansturm der Giftpfeile, welche von allen Ufern auf sie einregneten, hin zu den fernen Ländern des Häuplings Dabaibe, auf der Suche nach “Maiskolben aus Gold” und goldenen Sandbänken. Seine mächtigen Wasser sahen die Barkassen mit den Tausenden afrikanischer Sklaven vorbeifahren, die das Gold der legendären Minen von Neguá aus den Eingeweiden der Erde hervorholen mussten. Der Fluss war stummer Zeuge ihres Leidens, ihres erbitterten Kampfs für die Freiheit, ihrer erfolglosen Fluchtversuche. Seine Seitenarme und Ufer verwandelten sich in ein Gemisch aus Schlamm und Blut, aus Leben und Tod, durch die gnadenlose Grausamkeit der Aufseher und die unbeugsame Hartnäckigkeit der schwarzen Freiheitskämpfer. Mit der Zeit, im Rhythmus der Trommeln und dieses wilden rebellischen Geistes, im Schutz der Wassergottheiten und der Nacht begannen in den Oberläufen seiner Nebenflüsse kleine Wehrdörfer zu wachsen.

Nach vielen Schlachten, die viele Leben und Opfer erforderten, wurde dieses Land, das sie seit Generationen bewohnten, vor kurzer Zeit offiziell den schwarzen Gemeinden und indigenen Völkern des Mittleren Atrato als kollektiver Besitz zugesprochen.

Doch die Habgier und die Brutalität einer Handvoll bewaffneter Männer vermag mehr als ein Dekret oder ein Gott der Armen, und von einem Tag auf den anderen kamen Hunderte wie Boten eines bösen Geistes, im Dienst obskurer und schäbiger Interessen, um sich ihr Holz, ihr Land, ihre Ressourcen anzueignen und ihre Pflanzungen in Treibstoff zu verwandeln. Die lange Trockenzeit war wie eine Vorwarnung. Der Fluss wurde immer trockener und hinterliess eine gefährliche Untiefe an der “Teufelskurve”. Dutzende Boote und Schiffe fuhren sich fest oder kenterten an der plötzlich aufgetretenen Sandbank, die nur spärlich benetzt war vom Wasser, das der Urwald und die Wolken in schillernde Farben kleideten. Geblendet von der Sonne oder wegen der Unvorsichtigkeit der Fahrer strandeten viele auf der Sandbank wie Wale, die im abendlichen Gegenlicht den Tod suchen. Der Fluss trocknete noch mehr aus und die Sandbank wuchs.

An einem unseligen Septembermorgen erwachte sie rot und voller Leichen. Über ein Dutzend einheimische Campesinos aus der Umgegend waren erbarmungslos ermordet worden und ihre massakrierten Körper lagen nun da. Die Nachricht verbreitete sich über den Atrato; sie wurde mitgeschwemmt im Einbaum der Fischer, im Knarren der Bocachicos (eine Fischart) und im Geheul der herrenlosen Hunde; die Nachricht ergoss sich über die Ufer des Atrato wie die unheilvolle Drohung eines reissenden Hochwassers. “Niemand darf sie beerdigen”, hatten die Mörder gesagt, die im Sand einen Abdruck hinterliessen, der Alle mit Schrecken erfüllte. Überall verschwanden Personen, viele. Einige Dorfgemeinschaften wurden gezwungen, wie Horden wilder Tiere in der Wildnis umherzuirren und sich im tiefsten Urwald des Dunkels und des Vergessens zu verlieren. Niemand hat wieder etwas von ihnen gehört. Trotz der Angst kamen Dutzende Frauen in Booten, um ihre Männer zu suchen. Einige wurden fündig und so hatte ihre quälende Ungewissheit endlich ein Ende und sie konnten die Körper mit ihren Tränen benetzen und sie mit Bananenblättern bedecken, um ihre Wunden nicht der Sonne auszusetzen. Mit der Dämmerung gingen sie nach Hause, um ihre Kinder zu versorgen, denn in der Nacht lauerten gespenstische, blutrünstige Schatten. Jeden Tag kamen sie in Booten zurück mit ihren traurigen und verwirrten Blicken, wie eine Prozession von Klageweibern, steckten Kreuze und Blumen in den Sand und verscheuchten mit ihren Schreien und Klagen die Geier und Aasvögel, die nicht locker liessen. Sie waren die Witwen der Teufelskurve. Die vorbeikamen, hörten ihre Totengesänge und Gebete, die über den Fluss hallten wie eine Verwünschung, und folgten ihrem Blick, der sich im Sumpf des grünen Urwalds verlor auf der Suche nach Antwort. Das ist jetzt über siebzehn Jahre her. Niemand wurde je für diese Schandtat verurteilt. Niemand, keine Gruppierung hat vor der Justiz diese Tat bekannt als ihren Beitrag zur Wahrheitsfindung. Sie war noch nicht einmal eine Schlagzeile in den nationalen Medien wert… Nie wird es eine akzeptable Antwort geben, die so viel Barbarei, so viele Tränen, so viel Schmerz rechtfertigen.